Erstellt von Heike Kühn | |   Expert*innen-Interview

Mirjam Berndt arbeitet in der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales als Fachkoordinatorin im Berliner IQ Netzwerk. Sie berichtete uns von den vielzähligen Angeboten des Netzwerks und ihrer Arbeit. Außerdem verrät sie uns, welche Themen im Bereich Migration in den letzten Jahren wichtig waren und zukünftig wichtig werden könnten.

 

Frau Berndt, Sie arbeiten in unserem Berliner IQ Netzwerk für den Handlungsschwerpunkt II. Dabei geht es um Qualifizierungen im Kontext der Anerkennungsgesetze. Welche Themen bearbeiten Sie in diesem Rahmen?

Ich bin zuständige Fachkoordinatorin im IQ Netzwerk Berlin. Das heißt, dass ich in der Stelle arbeite, die das Landesnetzwerk für Berlin leitet und koordiniert. Wir sind die Verbindungsstelle zwischen dem Fördermittelgeber, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, und unseren Teilprojekten, die in Berlin das Förderprogramm operativ umsetzen. Der Handlungsschwerpunkt beinhaltet Qualifizierungsprojekte im Kontext der Anerkennungsgesetze, d.h. das IQ Netzwerk bietet Anpassungsqualifizierungen an, um die volle Anerkennung internationaler Berufsqualifikationen zu unterstützen. Meine Aufgaben sind, die Projekte fachlich bei der Projektumsetzung sowie der inhaltlichen Arbeitsplanung zu begleiten. Dazu gehört Konzeptentwicklung, Änderungsbedarfe abzuklären, die Überwachung, Dokumentation und Auswertung der Ergebnisse aus den Projekten und diese dem Fördermittelgeber oder Projektpartnern zu präsentieren. Außerdem zählt dazu auch die Überprüfung auf Einhaltung der Förderrichtlinien und die Begleitung der Antragsverfahren. Also alles, was mit der fachlichen Koordination der Projekte zu tun hat. Die Ergebnisse geben wir in die Verwaltung und den politischen Raum weiter. Wir sind hier in Berlin bei der Beauftragten des Senats von Berlin für Integration und Migration angesiedelt. Dass wir direkt an den Entscheidungsträgern für das Land Berlin dran sind, ist ein Vorteil. So können wir die Ergebnisse aus unserer Arbeit gut im Sinne des Landes Berlin einbringen.


Welche Bereiche finden Sie persönlich besonders spannend und warum?

Zunächst einmal ist das IQ Netzwerk groß. Das Programm ist breitgefächert und vielseitig. Es gibt viele aktuelle und spannende Themen, wie z. B. gerade das Thema Fachkräftesicherung und -einwanderung. Das Thema Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen ist dabei hoch aktuell und wichtig, da es die Ressourcen von Menschen aufgreift, die zu uns nach Deutschland kommen und sie dadurch die Chance auf einen guten Arbeitsplatz erhalten. Unsere Arbeit ist aber auch komplex. Man hat im IQ Netzwerk mit sehr vielen Akteur*innen und Netzwerkpartner*innen zu tun. Es gibt die unterschiedlichsten Projekte, gerade im Handlungsschwerpunkt II. Jedes einzelne Projekt hat seine Herausforderungen. Wir haben außerdem verschiedene Projektträger, z.B. Universitäten und Hochschulen. Diese haben unterschiedliche Herangehensweisen, Konzepte und Lernformen. Das macht die Arbeit lebendig. Mir macht es auch Spaß, dass ich immer wieder Neues dazu lerne. Zum Beispiel habe ich gelernt, dass Tierärzt*innen mit internationalem Studienabschluss bis zu 15 Kenntnisprüfungen ablegen müssen, um in Deutschland eine Approbation zu erhalten.


Unsere Zielgruppe für das Programm BeuthBonus+ sind Akademiker*innen, die ihren Hochschulabschluss im Ausland absolviert haben und nun in Berlin wohnen. Wir sind aber nur ein Projekt im Netzwerk. Welche anderen Projekte und Angebote gibt es für diese Zielgruppe?

Zu Beginn unserer Förderrunde 2019 hatten wir neun Projekte im Handlungsschwerpunkt II, aktuell haben wir sechs. Eine sogenannte Brückenmaßnahme für Akademiker*innen in nicht-reglementierten Berufen ähnlich wie BeuthBonus+, ist das Projekt „Change - Arbeiten in Zeiten des Klimawandels“ des Trägers Life e.V. Es richtet sich an weibliche Akademikerinnen, die zum aktuellen Thema Klimawandel qualifiziert werden. Somit können sie als Klimawandel-Mentorinnen in die Arbeitswelt gehen. Für die reglementierten Berufe im akademischen Bereich haben wir die Charité International Academy, die für Ärzt*innen einen Vorbereitungslehrgang für die Kenntnisprüfung anbietet. Ansonsten bietet die Freie Universität einen Vorbereitungslehrgang im E-Learning Format für Tierärzt*innen,  die Evangelische Hochschule wiederum einen Anpassungslehrgang für Hebammen an. Wir haben zudem für duale IHK-Berufe die individuelle Anpassungsqualifizierung MAZAB beim Träger Inbas (Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik).


Was wurde in den letzten Jahren für die Fachkräfteeinwanderung erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Mit dem Anerkennungsgesetz wurde der Anspruch geschaffen, dass alle Personen, die einen akademischen Abschluss im Ausland erworben haben, eine Gleichwertigkeitsprüfung durchführen lassen können. Darauf baut auch das IQ-Programm auf. Es war ein großer Fortschritt, um die Kompetenzen, welche Menschen mit einem im Ausland erworbenen Berufsabschluss mitbringen, wertzuschätzen. So kann das Potenzial des/der Einzelnen aufgegriffen und für den deutschen Arbeitsmarkt nutzbar gemacht werden. Was die Einwanderung von Fachkräften betrifft, ist durch dieses Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung seit dem 1. März 2020 eine große Veränderung eingetreten. In diesem Zuge haben wir auch einen neuen Handlungsschwerpunkt im IQ-Netzwerk bekommen. Dieser hat die Aufgabe, Fachkräfte-Netzwerke aufzubauen und zu stärken. Es werden u.a. Kleine und Mittlere Unternehmen (KMUs) zum Anerkennungsprozess und zum beschleunigten Fachkräfteverfahren* beraten. Wegen der Corona-Pandemie haben sich diese Prozesse teilweise verzögert. Es ist erwiesen, dass wir einen Fachkräftemangel in Deutschland haben und Fachkräfte aus dem Ausland benötigen. Das ist auch in der Politik aktuell ein wichtiges Thema, gerade die Anerkennungsprozesse und Einwanderungsprozesse von Fachkräften zu beschleunigen. Da lässt sich noch einiges optimieren. Allein das komplexe Anerkennungsverfahren an sich, könnte beschleunigt sowie digitalisiert werden.

*beschleunigte Fachkräfteverfahren: Wenn ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegt, können Unternehmen mit der entsprechenden Vollmacht der betroffenen Fachkraft ein beschleunigtes Fachkräfteverfahren bei der zuständigen Ausländerbehörde beantragen. Auch das Verfahren zur Anerkennung der ausländischen Qualifikation kann dadurch beschleunigt werden. (BMAS)

 

Wie sind Ihre Erfahrungen bzw. welche Rückmeldungen bekommen Sie zur Umstellung auf digitale Formate im Bereich der Qualifizierung?

Das war bei uns in der Koordinierung ein großes Thema. Es gab unterschiedliche Rückmeldungen von den Trägern. Wir hatten in Berlin bereits vor der Corona-Pandemie Projekte, die digital gut aufgestellt waren. Auch das Projekt BeuthBonus+ hatte ein Blended-Learning-Format*, wodurch die Anpassung nicht so schwer war. Nichtsdestotrotz war mit der schnellen Umstellung auf das digitale Lehren ein hoher administrativer Aufwand verbunden: bestehende Konzepte mussten abgeändert werden. Im Nachhinein würde ich sagen, dass das in Berlin gut funktioniert hat. Im Allgemeinen wollen wir jetzt darauf achten, dass wir die digitalen Angebote beibehalten und auf die Zielgruppe ausrichten. Es sollte beides genutzt werden: das digitale sowie das analoge Format. Die digitale Lehre bietet Vorteile, wie beispielsweise die hohe Flexibilität oder das ortsunabhängige Lernen. Das virtuelle Arbeiten ermöglicht es auch, Projekte beispielsweise bundesweit anzubieten. Trotzdem wurden uns auch Nachteile gemeldet, z. B. dass die Teilnehmenden sich schwerer konzentrieren können. Besonders das Coaching ist in einem persönlichen Rahmen anders. Auch der Begriff des Sozialen Lernens ist mir immer wieder begegnet. Wir lernen alle viel dazu, wie man Online-Formate weiterentwickeln kann. Dazu werden wir sehr gut durch unsere IQ-Fachstellen fachlich begleitet und es werden Schulungsangebote bereitgestellt.

*Das Blended Learning kombiniert Vorteile von Präsenzveranstaltungen und Online-Lernen. Über eine Lernplattform werden Materialien zum Selbstlernen zur Verfügung gestellt.

Welche Trends sehen Sie noch im Bereich Qualifizierung von Menschen mit Migrationsgeschichte?

Wir stehen kurz vor der neuen Förderperiode, daher ist es schwierig, die Frage zu dem jetzigen Zeitpunkt zu beantworten. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Bereich Digitalisierung weiter ausgebaut wird, Maßnahmen deutschlandweit ausgeweitet werden und, dass einige Maßnahmen virtuell zusammengefasst werden. Non-formale und informelle Abschlüsse* sind z.B. ein interessantes Thema. Das meint, dass nicht alle Menschen, die migriert sind, ein Zertifikat oder eine vollständige Qualifizierung mitbringen, aber trotzdem wertvolle Kompetenzen und Fähigkeiten besitzen. Hierfür könnte das Angebot an Qualifizierungen und Weiterbildungen ausgebaut werden. Ansonsten würde ich mir wünschen, dass, wenn jemand in den Arbeitsmarkt eintritt, die Maßnahme nicht an diesem Punkt endet. Sondern, dass es ein Angebot für eine nachhaltige Teilhabe am Arbeitsmarkt gibt, wie z.B. ein Sprachcoaching am Arbeitsplatz. Sodass die Arbeitnehmer*innen in den Anfängen ihrer Erwerbstätigkeit weiterhin begleitet werden. 

*Non-formale und informelle Abschlüsse: dies umfasst gelernte Fähigkeiten, Kenntnisse und Werte, die nicht durch einen Berufsabschluss oder ein offizielles Zertifikat irgendeiner Art belegbar sind.



Vielen Dank, Frau Berndt, für Ihre Antworten! Wir wünschen weiterhin viel Erfolg mit allen Projekten in Berlin.

Foto: © Mirjam Berndt