Erstellt von Karina Sávio | |   Expert*innen-Interview

Matthias Pfleger leitet das Projekt „Vielfaltsgerechte Nachwuchskräftesicherung für Berliner KMU“ beim BQN Berlin e.V. Im Gespräch erklärt er, wie wichtig es für Unternehmen ist, sich mit diversitätsorientierter Organisationsentwicklung zu beschäftigen, um die passenden Mitarbeitenden zu finden.

 

Herr Pfleger, könnten Sie uns kurz Ihre Arbeit bei BQN Berlin und das Projekt „Vielfaltsgerechte Nachwuchskräftesicherung für Berliner KMU“ vorstellen?

Ich bin für die Leitung des IQ-Projektes „Vielfaltsgerechte Nachwuchskräftesicherung für Berliner KMU“ zuständig. Wie der Name schon sagt, sind unsere Zielgruppe kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Berlin. Wir unterstützen diese bei der Suche nach Fachkräften. Dazu gehört z.B. Personalmarketing oder die Gestaltung von Auswahlverfahren. Auch die Bindung von Fachkräften an Unternehmen ist ein wichtiger Punkt. Dazu gehört u. a. vielfaltorientiertes Onboarding. Also die vielfaltsorientierte Ausrichtung der Organisationskultur sowie das Beschwerdemanagement. Zu diesen Aspekten beraten wir die Unternehmen. Es gibt auch Workshops, in denen wir mit Fallbeispielen arbeiten. Für Unternehmen bietet das die Möglichkeit, sich mit diesen Themen zu beschäftigen und einen Einblick in die Materie zu erhalten.

Warum sind Prozesse, wie antidiskriminierende Einstellungsverfahren und vielfaltsgerechte Personalgewinnung, für ein Einwanderungsland wie Deutschland wichtig? Wie können die Kandidat*innen von solchen Prozessen profitieren?

Für Deutschland als Einwanderungsland ist das wichtig, weil es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)* gibt. Es soll den gleichen Zugang für alle Personengruppen in verschiedenen Aspekten des Lebens ermöglichen, ohne Diskriminierung. Im Bereich der Arbeitswelt sieht das Gesetz ein Beschwerdeverfahren vor – das ist ein Muss für Unternehmen. Zudem existieren bestimmte Bias. Ein Beispiel dafür ist, dass Personalverantwortliche oft Bewerbende auswählen, mit denen sie sich identifizieren können. Daher ist es für Unternehmen wichtig, sich mit möglichen Beobachtungsfehlern in Auswahlgesprächen, also den Bias, aber auch mit Diskriminierungspotenzialen auseinanderzusetzen. Ansonsten besteht die Gefahr, nicht die geeignete Person für die Stelle zu finden. Wenn sich Unternehmen nicht nur auf Personalmarketing konzentrieren, sondern ihre Auswahlverfahren vielfaltsgerechter gestalten, dann werden auch Diversity-Kompetenzen** sichtbarer. Auf diese Weise werden bisher eventuell nicht beachtete Bewerbende mit ihren Fähigkeiten und Potentialen sichtbar, wie z.B. mehrsprachige Personen oder BIPoCs***. Zudem gibt es auch Kompetenzen, die nicht mit Zertifikaten erfassbar sind. Das sind Erfahrungen, die die Bewerbenden mitbringen und die genauso wichtig für die Stelle sind. Auswahlverfahren müssen auch diese Kompetenzen erfassen, damit Unternehmen geeignete Fachkräfte finden.

Erklärungen:
*Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Das Gesetz hat das Ziel, Benachteiligungen aus Gründen ethnischer Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
**Diversity-Kompetenzen: Kompetenzen, die im Umgang mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden benutzt werden. Sie erfordern diversitätsorientiertes Wissen und die Selbstreflexion der eigenen Diversität oder Privilegien.
***BIPoC: Black, Indigenous and People of Color.

 

Was genau ist ein diversitätsorientierter Organisationsentwicklungsprozess und warum ist das für ein Unternehmen notwendig?

Organisationsentwicklung hilft dabei, Erneuerungsprozesse einzuführen, die während der Umsetzung begleitet werden. Bei einem diversitätsorientierten Organisationsentwicklungsprozess werden verschiedene Prozesse in Unternehmen hinsichtlich Vielfalt und Antidiskriminierung untersucht. Organisationsentwicklung beschäftigt sich aber nicht nur mit einem Aspekt, sondern betrifft die ganze Organisation und Struktur eines Unternehmens. Ein wichtiger Faktor ist die Vielfalt des Personals. Dort analysiert man, welche Gruppen es bereits in einem Unternehmen gibt und welche sich zur Zeit bewerben. Zudem prüft man die Personalakquise in Bezug auf Diversity und Stellenausschreibungen sowie Auswahlverfahren hinsichtlich ihrer Vielfaltsorientierung. Dazu zählt auch die Organisationskultur, die das Einbeziehen verschiedener Perspektiven betrifft. Des Weiteren sollte das Unternehmen untersuchen, inwieweit es zum Thema Diversity Fortbildungen für die Mitarbeitenden anbietet oder Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Anti-Diskriminierung. Organisationsentwicklung kann aber auch die Personalentwicklung betreffen. Hier ist zu prüfen, ob auch Frauen oder Personen mit Migrationshintergrund die Möglichkeit geboten wird, als Führungskraft aufzusteigen. Unternehmen können sich extern zu diversitätorientierter Organisationsentwicklung beraten lassen.


Welche Herausforderungen gibt es für deutsche Unternehmen bei der Einstellung von internationalen Teammitgliedern?

In Bezug auf internationale Fachkräfte kann es verschiedene Herausforderungen geben, wie z.B. gesetzliche Regelungen. Es gibt mittlerweile vereinfachte Zugänge durch das Einwanderungsgesetz* aber trotzdem benötigt das auch eine Abstimmung mit der Ausländerbehörde. Zudem gibt es Fragen, z.B. zum Zugang zu Sprachkursen. Das könnte sich als mögliche Herausforderung herausstellen. Eine weitere wäre, angesichts des Themas Vielfalt, dass sich auch unterrepräsentierte Gruppen in einem Unternehmen wohl fühlen, in einer Arbeitsumgebung, wo ihre Fähigkeiten und Potenziale wertgeschätzt werden.

Erklärung:
*Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Das Gesetz erleichtert den Zugang von Fachkräften mit beruflicher Qualifikation zum deutschen Arbeitsmarkt.

 


Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen in der Arbeit mit einem vielfältigen Team?

Ich arbeite sehr gerne in einem heterogenen Team, weil dort die Möglichkeit besteht, anhand verschiedener Erfahrungen und Perspektiven, gemeinsam nach den besten Lösungen zu suchen. Das ist ein Zugewinn, angesichts ganz neuer Perspektiven und Wissen. Meiner Meinung nach ist das eine Chance etwas dazuzulernen. Gleichzeitig stellt das natürlich auch eine Herausforderung dar, weil man sich vielleicht auch selbst hinterfragen muss und offen für verschiedene Lösungswege sein sollte. Manchmal macht es die Situation komplexer und vielfältiger. Aber auf Dauer gesehen, kann man als Mitarbeitender selbst sowie auch das Unternehmen davon profitieren.


Wie kann ein Unternehmen die Herausforderung eines vielfältigen Teams meistern?

Ich würde jedes Unternehmen für diese Aufgabe motivieren. Es gibt gerade im IQ Netzwerk, in dem auch unser Projekt tätig ist, tolle Beratungsprojekte für das Thema Anwerbung internationaler Fachkräfte und was dabei berücksichtigt werden muss. In Berlin gibt es eine Reihe von Projekten, die die Unternehmen dazu beraten. Zudem ist es wichtig, nicht nur einen Blick auf die Arbeit zu haben, sondern auch auf das Ankommen der Fachkraft in Deutschland. Das ist nicht nur auf den Betrieb bezogen, sondern auch auf die Wohnungssuche oder den Nachzug der Familie, Sprachkurse, Freizeit und das Sozialleben. Auch sollten in einem Unternehmen Themen wie Gender und Behinderung berücksichtigt werden. Das ist eine Aufgabe der ganzen Organisation. Entscheidend ist auch, dass sich alle Mitarbeitenden mit dem Thema Diversity beschäftigen. Das hängt auch mit der organisatorischen Gestaltung der Arbeitsumgebung zusammen. Das bedeutet, ob und wo sich das Personal wohl fühlt und es auch Anlaufstellen für Schwierigkeiten gibt, wie z.B. eine Beschwerdestelle für Diskriminierung. Wenn die Organisationskultur überdacht wird und die Bereitschaft da ist, diese Struktur zu ändern, dann könnte eine Veränderung entstehen, angesichts neuer Personengruppen aber auch im Umgang mit Veränderungen, die diese Gruppen mitbringen. Unser Projekt unterstützt die Unternehmen bei diesen Veränderungen und dabei, wie sie Mitarbeitende mit vielfältigen Profilen gewinnen und halten können.

Es war eine Freude Sie zu interviewen. Ich bedanke mich für das Gespräch, auch im Namen des Teams von BeuthBonus+!

Copyright: BQN | Foto: Judith Affolter