Erstellt von Karina Sávio | |   Expert*innen-Interview

David Fiebelkorn D'Almeida e Silva ist der Geschäftsführer beim Kiezspinne FAS e. V., ein Nachbarschaftsverein im Bezirk Lichtenberg. Er erzählt uns, wie wichtig die Nachbarschaftsarbeit für die Zugehörigkeit und den Aufbau einer Gemeinschaft ist. Dazu stellt er den Capoeira-Kurs als Teil der Arbeit des Vereins vor und beleuchtet, wie dieser Sport Begriffe, wie Freiheit und Respekt, als zentrale Werte mitbringt.

 

Können Sie für uns zusammenfassen, was die Rolle des Vereins ist und wie genau die Arbeit eines Nachbarschaftsvereins funktioniert?

Die Kiezspinne ist ein gemeinnütziger Verein mit rund 100 Mitgliedern – juristischen und natürlichen Personen – und wurde als nachbarschaftlicher Interessenverbund im Lichtenberger Stadtteil „Frankfurter Allee Süd“ (FAS) am 22. April 1993 gegründet. Der Verein hat einen ehrenamtlichen Vorstand. Der Name „Kiezspinne FAS“ soll das Hauptanliegen zum Ausdruck bringen: Der Verein knüpft ein Netz zwischen den verschiedenen Initiativen, Projekten, Trägern, öffentlichen Einrichtungen und engagierten Nachbarn im Kiez FAS. Darüber hinaus hält er Kontakte zu Partnern in Politik, Verwaltung und Wirtschaft – um gemeinsam etwas für den Kiez zu bewegen und die Lebensqualität im Stadtteil zu verbessern. Finanziert wird der Verein überwiegend aus Projekten, die von der öffentlichen Hand gefördert werden und die Verbesserung des Allgemeinwohls zum Ziel haben. Im Zuge dessen haben wir Angebote von der Krabbelgruppe bis zum Gedächtnistraining für Menschen aller sozialen Schichten, Kulturen, Generationen und Identitäten.

Wie wichtig ist die Integrationsarbeit für neue Zugewanderte und was bedeutet diese Arbeit für die Gesellschaft aus Ihrer Sicht?

Integrationsarbeit ist vor allem für neu zugewanderte Personen ein zentraler Baustein, um in der für sie neuen Gesellschaft und möglicherweise anderen Kultur, Anschluss zu finden. Sie bietet Menschen eine schnelle Möglichkeit der Erweiterung ihres Zugehörigkeitsempfindens und fördert eine Erweiterung der eigenen Weltanschauung.
Ferner bieten unsere Maßnahmen zu Integrationsarbeit auch den alteingesessenen Bewohnern unseres Bezirks die Möglichkeit, ihren Blick zu erweitern und die vielen Vorteile aktiv zu erleben, die von neu hinzukommenden Personen ausgehen. Wenn man sich trifft und austauscht, dann entstehen Freundschaften. Man versteht die manchmal sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und erkennt einander an. Diese Brückenbildung schafft unabhängig vom gemeinsamen Studium an Universitäten oder der Zusammenarbeit in Arbeitsstellen nur die Integrationsarbeit.

Im Rahmen des Projektes „Lebendige Nachbarschaften“ bietet die Kiezspinne einen Capoeira-Kurs an. Woher kommt die Idee dafür?

Capoeira ist ein Sport, welcher aus Brasilien stammt und eine bewegte Geschichte hat. Brasilien hat in diesem Bezug – ähnlich wie die USA – eine kolonialistische Vergangenheit, in welcher Sklaverei eine Rolle spielte. So war es bis zur Abschaffung der Sklaverei in Brasilien, den zur damaligen Gesellschaftsschicht der Sklaven gehörenden Menschen verboten, sich im Kampfsport zu schulen. Heimlich haben es diese Personen dann doch getan und den wunderbaren Sport des Capoeira erschaffen. Seither spielt der Gedanke der Freiheit und des gegenseitigen Respekts in der Kultur des Capoeira eine zentrale Rolle. Es wird aktiv repräsentiert, dass jeder willkommen ist und man gemeinsam an Sport und Kultur teilnimmt sowie diese aktiv weiterentwickelt. Diese Zielstellung macht den Sport für sehr unterschiedliche Menschen attraktiv und wirkt nicht selten gerade für Migranten und Migrantinnen sehr anziehend. Der gegenseitige Respekt und die gesellschaftliche Wertschätzung bei akrobatischen Auftritten auf Stadtfesten und Events bilden bei jedem Teilnehmer einen sehr spannenden Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Mittlerweile haben wir in unserem Capoeira-Kurs Menschen aus 11 Nationen, worauf wir sehr stolz sind. Der Kurs ist damit eines unserer Vorzeigeprojekte bezüglich Integrationsarbeit und Solidarität.


Welche Rolle spielt der Capoeira-Kurs für die Integration neu Zugewanderter und die Einwohner des Lichtenberg-Kiezes?


Der Kurs lässt unter den Teilnehmenden Freundschaften entstehen und schafft bei der Bevölkerung in Berlin Lichtenberg großes Interesse an anderen Kulturen. In den letzten Jahren ist die Gruppe bei zahlreichen Stadtfesten und Veranstaltungen aufgetreten und wurde stets von den Einwohner*innen des Bezirks mit absoluter Begeisterung empfangen. Der Capoeira-Kurs verändert damit die Denkmuster der Bezirksbevölkerung. Es wird stärker geschätzt und gesehen, dass Zugewanderte neue, spannende Einflüsse mitbringen, von denen unsere Gesellschaft profitiert.

Denken Sie, dass der Kurs auch eine gute Möglichkeit für Teilnehmende ist, Kompetenzen wie Konfliktmanagement zu üben? Warum?

In jedem Fall. Beim Capoeira, als anerkannte Kunst des Martial Art, erfolgen Kampf, Spiel und Dialog durch gemeinsame Kampfbewegungen zugleich. Obgleich man die Bewegungen auch zur Selbstverteidigung einsetzen kann, möchte man sich gegenseitig im Training nicht verletzen. Nichtsdestotrotz fängt man sich im Training mitunter mal einen Tritt oder Schlag ein. Das Spannungsverhältnis, sich im Kampf zu überraschen und gleichzeitig aufeinander aufzupassen ist hier einzigartig. Es steht im Vordergrund, dass man gemeinsam hinsichtlich der sportlichen und charakterlichen Kompetenzen wächst, weshalb sich bietende Konflikte stets umfassend und ergebnisorientiert reflektiert werden.

Würden Sie neuen Zugewanderten die Teilnahme an Sportkursen und das Engagement einer Nachbarschaft empfehlen? Welches sind die Vorteile?

Absolut. Durch das Engagement in einer Nachbarschaft lässt sich die eigene Lebenswelt aktiv gestalten und auf viele Belange aktiv Einfluss nehmen. Dies ist, nach meiner Ansicht, die vielleicht größte Grundlage für ein Gefühl, zu Hause und in einer Gesellschaft angekommen zu sein. Es ist die beste Möglichkeit, um Menschen zu treffen, denen ähnliche Werte wichtig sind. Dies geht im Großen und Kleinen. Als Geschäftsführer der Kiezspinne kann ich mich an einen sehr spannenden Fall erinnern. Vor zwei Jahren hatte ein Mann mit Fluchterfahrung aus Syrien zu mir gesagt, dass er unseren Nachbarschaftgarten sehr schön findet und um Erlaubnis gebeten, dass er diesen gießen darf. Wir haben ihm gesagt, dass wir uns über jede Hilfe sehr freuen. Er engagiert sich bis heute in einem Team von 8 Gartenfreunden in unserem Nachbarschaftsgarten.


Im Namen des BeuthBonus+ Programms bedanke ich mich herzlich für das tolle Interview!

Copyright: David Fiebelkorn D'Almeira eSilva