Motivation

Jedes Produkt, das konstruiert, gefertigt und montiert wird, weicht in seinen Eigenschaften von den Idealeigenschaften ab. Wir machen den Einfluss dieser Abweichungen und den Einfluss der Bauteil- und Montagetoleranzen auf die Produkteigenschaften sichtbar. In Abb.1 wird die Idealgeometrie anhand eines 3D-CAD Modells dargestellt. In Abb. 2 ist der Fertigungsprozess der Temperaturskala dargestellt, bei dem ein Bauteil mittels eines generativen Fertigungsverfahrens (FDM Dualextruder) realisiert wird.

Projektphasen zur Erreichung der Ziele

Bei der Produktentwicklung soll neben dem sogenannten methodischen Konstruieren das methodische Tolerieren im Konstruktionsprozess berücksichtigt werden. Die Veranschaulichung und Erläuterung des Leitfadens für die verschiedenen Projektphasen zur Erreichung der Anforderungen und Ziele für das jeweilige Produkt erfolgt in Abb. 3.

Virtuelle Produktentwicklung

Beim rechnerunterstützten Konstruieren mit einem CAD-System werden Produkte in einem geometrischen Modell und einer technischen Zeichnung (Abb. 4) abgebildet. In Abb. 6 sind die gemessenen Abweichungen am CAD-Modell anhand einer Farbskala des gefertigten Bauteils aufgetragen.

Warum Toleranzbetrachtungen?

Fehler in mechatronischen Komponenten entstehen durch Abweichungen der Abmessungen und
Lage der Bauelemente (Fertigung, Temperatur- und Krafteinwirkung, Verschleiß). Viele Fehler lassen sich auf die geometrischen Abweichungen zurückführen.  Aufgabe der Produktentwicklung ist es die Grenzen so festzulegen, dass die Funktion stets erfüllt wird:

  • Die Produktentwicklung muss den Einfluss der Einzelabweichung auf die Gesamtabweichungen bestimmen können.
  • Die Produktentwicklung muss abschätzen können, ob außerhalb der Toleranz gefertigte Teile verarbeitet werden können.
  • Toleranzen haben großen Einfluss auf die Herstellkosten:
        „Toleriere so genau wie nötig und so grob wie möglich

Durchführung einer Toleranzanalyse

Über die Verkettung von Maßen kann ein Rückschluss auf wichtige Merkmale eines Produkts gezogen werden (Abb. 7).

Wie berechnet man das Schließmaß und wie definiert man die Toleranz?

Das Schließmaß lässt sich über eine geschlossene Kette der dazugehörigen relevanten Maße in der Konstruktion berechnen. Dies ist der sogenannte „geschlossene Vektorzug“. Am Beispiel des Temperaturmessgeräts setzt sich das Schließmaß aus einer linearen Maßkette zusammen.

Versieht man jedes Maß mit Toleranzen Ti (hier i=1…5), nämlich Abweichungen von der Idealgeometrie, dann lässt sich die Toleranz des Schließmaßes über die Summe der Einzeltoleranzen berechnen.

Integration einer Monte-Carlo-Simulation im CAD-System

Mit der Monte-Carlo-Simulation kann eine große Anzahl an verschiedenen Zusammensetzungen der Bauteile in der Baugruppe untersucht werden. Jedes Maß ist für die entsprechende Zusammensetzung eine Zufallsvariable einer statistischen Verteilung. Somit kann die Auswirkung der jeweiligen Abweichungen auf das Schließmaß ermittelt werden (Abb. 8). Es gibt diverse Computeranwendungen, womit man solche Simulationen in der Produktentwicklung am CAD-System durchführen kann (Anim. 2). Somit können Probleme in der Fertigung vermieden werden, die Herstellkosten werden gesenkt und die Gewährleistung der Funktion des Produkts wird sichergestellt.

Strukturmechanische Analyse mit der Finite-Elemente-Methode (FEM)

Mit dem numeruschen Verfahren der Finite-Elemente-Methode (FEM) können weiterhin Betrachtungen durchgeführt werden, die Auswirkungen auf die geometrischen Toleranzen haben können (Abb. 9).

Fertigungsmesstechnik an der HTW im IFAF-Projekt

Die Messung der Abweichungen von der Idealgeometrie erfoglt über die HTW mittels einer Koordinatenmessmaschine. Eine Vielfalt an Möglichkeiten ermäglicht es, verschiedene Merkmale der gefertigten Produkte zu erfassen (Abb. 10).

Toleranzmanagement für ein Temperaturmessgerät

Im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften 2019 wurden Temperaturmessgeräte montiert und vermessen, um die Abweichungen von der Idealgeometrie aufgrund verschiedener Einflussparameter bei der Fertigung und der Montage für die Besucher zu veranschaulichen. Für jedes montierte Gerät werden Merkmale vermessen und eine Statistik der Messwerte im Laufe der Langen Nacht erstellt. Zur Erläuterung der Bauteil- und Montagetoleranzen werden mit Computerexperimenten die Simulationsmöglichkeiten in der virtuellen Produktentwicklung aufgezeigt. Mit der sogenannten Monte-Carlo-Simulation können die Montage und Bauteilabweichungen des Temperaturmessgerätes als virtuelles Computermodell tausendfach variiert und ausgewertet werden. Dies wird in Computeranimationen dargestellt und erläutert.

Temperaturmessgerät montieren und vermessen

Ein batteriebetriebenes kleines Temperaturmessgerät mit mechatronischen Komponenten wie einem Elektromotor, einer Platine und mechanischen Teilen wurde von den Besuchern selbst anhand Anleitung montiert und anschließend vermessen. Ist das als Bausatz konzipierte Gerät fertig montiert worden, zeigte es die Raumtemperatur an. Die Vermessung erfolte über eine automatisierte Messvorrichtung und die Messgröße war dabei das Schließmaß aus der vorgestellten Maßkette. Für die erfolgreiche Montage wurde ein kleines Give-away vergeben. In Abb. 11 steht die Raumplanung mit den entsprechenden Stationen für die Einweisung, die Montage und die Vermessung.

Ergebnisse der Monte-Carlo-Simulation mit einem CAD-System

Parallel zum realen Vermessen der gefertigten Messgeräte wurde eine Computersimulation im CAD-System PTC Creo durchgeführt. Dies hat den Vergleich zwischen der rechnerunterstützten Vorhersage der Abweichungen und der Realität erzielt. Mit einer Simulation von 1000 Experimenten in der Multiziel-Konstruktionsstudie von PTC-Creo konnte die Auswirkung der Toleranzen auf das Schließmaß ermittelt werden. Somit hat sich das Histogramm einer Normalverteilung mit Mittelwert und Standardabweichung für das Schließmaß ergeben (Abb. 13).

Ergebnisse der Vermessung der montierten Bauteile

Am Abend der Langen Nacht der Wissenschaften 2019 wurden den Besuchern die benötigten Komponenten für den Zusammenbau eines Temperaturmessgeräts aus einem Satz von 10 im Idealen identischen Komponenten zur Verfügung gestellt. Dies hat die Kombination beliebiger Komponenten erzielt, sodass sich eine Verteilung für das Schließmaß wegen der Auswirkung der individueller Abweichungen vom Idealen ergibt. Es wurden somit 40 verschiedene Temperaturmessgeräte montiert und daraus konnte anschließend eine Verteilung ermittelt werden (Abb.14).

Auswertung und Optimierung

Vergleicht man die gewonnenen Verteilungen aus Simulation und realem Experiment, ist ein deutlicher Unterschied in der Verteilungsform und in den Werten zu merken. Dies ist der Fall aus mehreren Gründen.

  • Ungenauigkeit der 3D-gedruckten Bauteile: Dieses Fertigungsverfahren kann große Auswirkungen auf die Genauigkeit der Geometrie der gefertigten Teile hervorrufen. Die Ebenheit von Flächen, derer Paralleität zueinander usw. sind solche Beispiele. Dazu sollte man über Messungen Form- und Lagetoleranzen definieren, um diese Effekte in dem Simulationsmodell zu beschreiben. Für die durchgeführte Simulation wurde jedoch nur eine lineare Maßkette berücksichtigt.
  • Fehler beim Montagevorgang: Sobald der Zusammenbau von den Anweisungen in der Anleitung abweicht, entstehen Fehler in den Schließmaßwerten. Dieser Effekt wird in den negativen Schließmaßwerten links in der Verteilung ersichtlich (Abb. 16), wo der Zeiger sich über die Gehäusekante befindet oder in den großen Schließmaßwerten rechts in der Verteilung, wo der Zeiger tiefer sitzt.
  • Materialbedingte Einflussfaktoren: Das Plastik-Material (PLA), das für den 3D-Druck verwendet wurde, hatte sich nicht passend für die mehrfache Montage erwiesen. Aufgrund der immer wieder auftretenden Spannungen im Montageprozess, wurden Teile beschädigt und empfindliche Stellen, wie Rippen und Schnappverbinder wurden gebrochen und somit wurde die Toleranzkette betroffen. Weiterhin wurden die Plastikteile über ihr Materialverhalten und Temperaturabhängigkeit mit der Zeit geschrumpft. Dies hatte weiterhin eine starke Auswirkung auf die geometrischen Abweichungen.

Das generative Fertigungsverfahren des 3D-Drucks eignet sich leider nicht für die Herstellung von Bauteilen zur Mehrfachmontage, da aus den erwähnten Gründen viele Fehlerquellen und Ungenauigkeiten im Endprodukt einfließen. Die Verwendung eines anderen Materials für das Gehäuse, das hohere Festigkeit aufweist, wäre ein weiterer Verbesserungsvorschlag. Daneben soll die Toleranzkette weiterhin die physikalischen Einflüsse auf die Geometrie und die komplexen dreidimensionalen montage- und fertigungsbedingten geometrischen Abweichungen abgreifen.